Leitgedanke

Vor einiger Zeit saß ich in einer netten Gesprächsrunde mit einer mittelalten Dame und ihrem Mann. Die Dame fragte mich, ob ich denn auch daran glaube, dass die Erde rund sei. Meinem irritierten Stirnrunzeln belustigt folgend, hakte sie milde lächelnd nach, ob ich denn schon einmal etwas über die These der „Flacherde“ gehört habe. Wenn nicht, solle ich dies bei Gelegenheit schleunigst nachholen und „mal auf YouTube gehen“, das Zauberwort eingeben und mich dann überraschen lassen. Da würde mir dann schon auf kompetente Art erklärt werden, dass wir -die breite Masse der Nichtwissenden- uns die ganze Zeit über von niederträchtigen Wissenschaftlern an der Nase herumführen- und belogen lassen haben. Warum? Natürlich um uns den Interessen weniger, gerissener Manipulatoren unterzuordnen. In diesem Moment war mir eines sehr klar: „Houston, wir haben da ein Problem“.

Dies wurde zur entsetzlichen Gewissheit, als ich nur wenige Wochen später in einem Gespräch über Gott und die Welt von einem sympathischen, jungen Mann darüber aufgeklärt wurde, dass der Mond bloß eine Erfindung gerissener Menschen sei und in Wirklichkeit nur ein mit Helium gefüllten Ballon, den man 40 Kilometer über der Erde in der Luft schweben lasse. Um die Menschen zu täuschen, natürlich. Während ich fassungslos den sehr ernst gemeinten Ausführungen mit bis zu den Knien herabhängender Unterkiefer versuchte zu folgen -ich musste mich beherrschen um nicht schreiend davonzulaufen- war ich mir sicher, dass unsere Gesellschaft nicht nur ein großes Bildungsproblem hatte – sondern eben mal wieder dabei ist als Kollektiv in ein sehr düsteres, dunkles -um nicht sagen: tiefschwarzes- Zeitalter abzudriften. Jedenfalls mental gesehen.

Im Ernst: Wir galoppieren im wahrsten Sinne des Wortes „sehenden Auges“ in die Verblödung!

Und Schuld daran haben nur die von allen Seiten gepriesenen „Sozialen Medien“ – die Zuckerberge dieser Welt! Dem Großteil der Menschheit wird buchstäblich der Verstand geraubt und niemand kann es verhindern. Denn die Leute wollen das glauben, was sie da sehen und hören. Sie fühlen sich nicht ernstgenommen und haben genug von der Bevormundung. Daher wird inzwischen jede Erwiderung und jede „Befehlsweigerung“ als Harke gegen die etablierte Meinungsmache – sprich Journalisten und Experten – großzügig eingesetzt. 

Denn es könnte ja etwas dran sein, an der Kritik. Dies ist selbstverschuldet, da die klassischen Medienmacher schon vor Jahren – eigentlich seit 9/11 – mit Abweichlern, Shitstormern und kritischen, sehr unangenehm-nachhakenden und -dem Internet sei Dank- mit aussergewöhnlich großer Sachkenntnis ausgestattenen Forendiskutanten schlichtweg überfordert waren. Völlig perplex und sich lautstark empörend – fand man sich plötzlich aufmüpfigen Lesern gegenüber: etwas in dieser Intensivität noch nie dagewesenem – und liess sich aus Angst im weiteren Verlauf erst gar nicht auf Diskussionen ein. Was ein großer Fehler war.

Seither gelten sie von daher nicht gerade als tolerant, kritikfähig oder gar lösungsinteressiert. Das Problem wird dadurch nicht gelöst, indem man einfach seine Leserschaft zu Trollen einer fünften Kolonne erklärt. NATÜRLICH kann man JEDE Behauptung argumentativ in Frage stellen: jeder These seine passende Anti-These gegenüberstellen. Und NATÜRLICH kann man mit gekonnter Rabulistik und genügend Finesse – mit sehr klugen (und gerissenen) Gegenargumenten alle Behauptungen entkräften, sodass am Ende die Kernaussagen in Frage gestellt werden. Alles möglich, alles drin.

Es gab früher Zeiten, in den der spontane Wechsel des eigenen Standpunktes als Sport betrieben wurde: die Scholastik. Eine regelrechte Disziplin in der Rhetorik – die dabei helfen soll andere Standpunkte anzunehmen, zu verteidigen und damit der eigenen Begrenztheit entgegenzuwirken – was ja meist sehr hilfreich ist. Auch hat niemand die Allmacht, über alles und jeden die gedankliche Kontrolle auszuüben und seine Meinung zu diktieren. Zumindest nicht ohne Unterdrückung und Gewalteinwirkung. In freien Gesellschaften MUSS man sich den unangenehme Fragen Andersdenkender stellen und man kommt nicht umhin, sich den gegnerischen Argumenten zu stellen und sich mit ebendiesen auseinanderzusetzen. 

Aber andererseits gilt dann aber auch, dass niemand garantieren kann, dass jede gestellte Behauptung per se völlig neutral und befreit von jeglichen Interessenkonflikten – also persönlich gefärbter Sichtweisen – aufgestellt werden kann. Dieses könnte allenfalls nur eine Artifizielle Intelligenz, eine künstliche Intelligenz: eine Maschine oder ein Automat ohne menschlichem Bewusstsein. Daher ist es natürlich auch nicht ganz unrichtig – allen Äußerungen zu misstrauen und jedes Individuum anzuzweifeln. Nur gibt es gewisse Grenzen, auf die wir uns als Gemeinschaft geeinigt haben – um keine Endlosdiskussionen führen zu müssen – die im Chaos enden: Grenzen werden gesetzt, um schlussendlich nicht den Verstand zu verlieren. Es ist ein wenig wie in der Frage nach der Henne und dem Ei. Oder dem Nachweis um den Ursprung des Universums. 

Wenn sich nun eine Gruppe von kompetenten Menschen (und die Rede ist hier von wirklichen Könnern ihres Fachs, von „Fachidioten“ und Profis) auf einen Rahmen einigen – um den Klärungsprozess zu beschleunigen – werden Rahmenbedingungen geschaffen. Dieses, weil man Grenzen setzt, um die Diskussion um das Für und Wider nicht ausufern zu lassen. Sonst wäre es in etwa so, wie wenn es keine Begrenzung auf der Leinwand des Kunstmalers gäbe und dieser würde nicht nur unendlich lange an seinem Bild arbeiten – quasi als Lebensaufgabe, die nie beendet wird- sondern er würde sich und auch alle Betrachter gnadenlos überfordern. Es ist einfach nicht sinnig, konstruktiv und gewünscht. Wobei hervorzuheben wäre, dass der Wunsch eben keinem egoistischen Trieb eines Einzelnen befriedigt, sondern dem Wunsch des Kollektivs nach einer optimalen Lösung geschuldet ist. 

Nicht umsonst unterscheidet, zum Beispiel, der Buddhismus zwischen berechtigtem Zweifel – welches als konstruktive, lösungsorientierte Kritik dem Weiterkommen aller Beteiligten dient- und der Zweifelsucht, welches häufig aus niederen- und pathologischen Beweggründen heraus geäußert, eher destruktiver Natur ist und Kollektive spaltet, statt sie zu einen. Hier wäre also die Unterscheidung sehr wichtig, aus welcher Motivation heraus die Kritik geübt wird. Analysiert man den Fragesteller und die daraus gewonnen Erkenntnisse als Grundlage der Kritik – wird man mit Sicherheit die jeweils dahinterliegende Konnotation – und damit das Motiv, die Absicht – erkennen, auf die sich der Kritiker mit seiner Kritik beruft.

Fazit

Ich für meinen Teil habe mich anhand dieser Gespräche und der darauffolgenden, gedanklichen Exkursion – wieder einmal an einen wunderbaren Ausspruch ermahnt gefühlt: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Dieses, laut Cicero auf Sokrates bezogene, geflügelte Wort – drückt sehr klar aus, was sich jeder Nichtsachkundige in seinem Urteil über unbekanntes Terrain vor Augen halten sollte. Oder um es frei nach Wittgenstein zu formulieren: wenn man nicht Bescheid weiß, solle man keinen Mist reden und nicht die Zeit der Anderen verschwenden. Oder, nach Dieter Nuhr, „einfach mal die Klappe halten“. 

Nur ist es halt so schwer, sich NICHT von Vorurteilen und persönlichen Gefühlen leiten- und verleiten zu lassen. Toleranz zu üben. Die Meinung anderer nicht zu verachten und damit gleichzeitig die Menschen dahinter. Jene stattdessen auf wohlwollende Weise mit sachlichen Argumenten zu überzeugen. Oder zumindest zum Nachdenken und Überdenken anzuregen (…ja, das klingt etwas nach Disney-Land). Dazu gehört geistige Reife, die man sich im Laufe der Zeit durch Erfahrungen erwirbt und natürlich, eben, Bildung durch Erlerntes. Und natürlich sind Bildungseinrichtungen die erste Wahl um sich Wissen anzueignen, kein Thema!

Dennoch wage ich die Behauptung (…nein, was red‘ ich da: ich bin davon felsenfest überzeugt!), dass gut recherchierte und optisch reizvoll zusammengestellte, populärwissenschaftliche Werke ebenso ihren Teil mit dazu beisteuern, dass sich einige Menschen mit ihrer Hilfe besser in der Welt zurechtfinden werden. Der Gedanke, dass wir aus dem Hause Atelier Kaymak mit unserer Arbeit ein kleines Stück mit dazu beitragen dürfen, erfüllt mich mit Stolz und großer Freude!

Wir fangen in einem bescheidenen und unabhängigen Rahmen an und sehen, wohin uns die Reise führt.

Aachen, im Februar 2019

Nuesret Kaymak

Nachtrag: Die Website wird kontinuierlich ausgebaut und erweitert.

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